Eigentlich hätte man nach 20 Minuten gar nicht mehr weiter von einem Sieg des TUS träumen müssen. Bis zu dieser Zeit hatte noch kein einziger (!!) TUS Spieler auch nur für eine Sekunde den Strafraum von Marburg betreten, die zu diesem Zeitpunkt nach einem unbedrängten Tor von Matthias Pappe nach hoher Flanke bereits 1:0 (13.Min.) in Führung lagen. Der ständige fast erdrückende Ballbesitz von Marburg ging danach verloren. In der 33. Minute konnte die erste nennenswerte Torgelegenheit des TUS nach Flanke von Anushervoni gerade noch als Eigentor Marburgs abgewendet werden. Der Flugkopfball von Pape flog haarscharf noch am eigenen Tor vorbei. Leicht aufkeimende positive Ansätze des TUS wurden in der 40. Minute fast vollständig durch einen unnötig verursachten Elfmeter von Hautzel zerstört mit einem sicher geglaubten Ball, der doch noch verloren ging und im Nachstochern einen Marburger Spieler zu Fall brachte. Den fälligen Elfmeter zum 2:0 ließ sich Mihamet Aifi nicht nehmen.
Insgesamt ließ sich in der ersten Halbzeit kein Grund finden, warum der TUS noch hätte gewinnen sollen, außer: man lag wieder einmal fast hoffnungslos hinten. Etwas paradox. Und im Ansatz war zu erkennen, dass Marburg mehrmals weite Bälle diagonal nach vorne wegen fehlender Schnelligkeit nicht erlaufen konnte.
Einschub: beim Verlassen des Platzes nach dem Spiel konnte man im Vorbeigehen mit einem Ohr hören wie 3 ältere Anhänger von Marburg sich darüber wunderten, wieso man gegen den „Abstiegskanditaten Nummer Eins der Hessenliga“ so schlecht gespielt, aber zum Glück doch noch gewonnen hatte. Hätte man sich als verbitterter Greis umdrehen und sagen sollen „ Ganz einfach, weil Marburg sich in der 2. Halbzeit auch als klarer Abstiegskandidat präsentierte“?
Durch gelungene Einwechselungen des TUS nach der Halbzeitpause fiel besondere das energische bissige Auftreten von Seker auf, das sich wie ein Strohfeuer auf die gesamt Mannschaft übertrug. Mit der Folge, dass Dietkirchen zwischen der 61. und 67. Minute Marburg, wie selten in der Hessenliga zu erleben, völlig auseinander nahm. Tore von Robin Böcher einmal und zweimal von Roberto Lahl brachten den TUS mit 2:3 auf die Gewinnerstraße.
In die Euphorie des TUS hinein fiel dann keine drei Minuten später nach Ecke mit einem sehenswerten Kopfball des freistehenden Guilherme Appel Prestes Da Silva der 3:3 Ausgleich. Ein nach der ersten Halbzeit nicht mehr zu erwartender Punktgewinn, der abschließend selbst in den Augen von Marburgs Trainer Eidelwein, verdient gewesen wäre, blieb Dietkirchen aber diesmal nicht vergönnt. Ein unnötiger individueller Ballverlust im Spielaufbau noch deutlich in der eigenen Hälfte des TUS wurde von Marburg durch Robin Trau eiskalt zum ersten Sieg nach 12 Jahren Abwesenheit in der Hessenliga zum 4:3 (86.) ausgenutzt.
Die Ursachen der deutlichen Mängel gehören, selbst wenn man sie deutlich zu analysieren wüsste, niemals in einen Spielbericht. Es würde nichts verbessern, nur schlechte Stimmung vertiefen und den Gegner aufbauen.
Es gibt aber genügend Gründe auf Hoffnung!
(Obwohl Dietkirchen keinen Punkt holen konnte, verbesserte man sich vom letzten auf den vorletzten Platz, weil Weidenhausen ebenfalls nach Niederlage ein noch schlechteres Torverhältnis aufzuweisen hat.)
Betrachtet man die Tabelle unten im Abstiegskeller, dann ist Dietkirchen mit seinem bis jetzt sehr enttäuschenden Abschneiden nicht alleine. Es finden sich noch genügend andere Mannschaften mit ähnlich niederschmetternden Ergebnissen.
Ohne den anderen Mannschaften auf die Füße zu treten, irgendwie fühlt sich das Niveau der bis jetzt zu Gesicht bekommenen Hessenligamannschaften, von einem Laien betrachtet, nicht übertrieben hoch an. Die anderen kochen auch nur mit Wasser, haben auch ihre Sorgen, die sie aber klugerweise nicht raushängen lassen.
Das Ende der Sommerferien und damit auch die zeitlich zerstreuten letzten Urlauber wieder im Boot zu haben, könnten Besserung bringen.
Das Einspielen, Eingewöhnen der „Neuen“ dürfte hoffentlich bald ein Ende haben und auch die „Nachwehen“ der viel zu kurzen Regeneration der extrem an Nerven und Kraftreserven zerrenden Hessenligarelegation, die sich wie ein überschwänglicher Aufstieg anfühlte.
Wenn die Stimmung leidet, gerät auch noch anderes in den Blickpunkt. Wie kann es sein, dass beim Heimspiel einer Mannschaft wie Marburg mit grob 80000 Einwohnern, die seit 12 Jahren nicht mehr in der Hessenliga gespielt hat, sich nur 180 Zuschauer einfinden? Wie überhaupt häufig auch auf anderen Plätzen kaum mehr Zuschauer zu finden sind. Ganz gruselig war es in den vergangenen Jahren in Neuhof. Aber auch der Traditionsverein Biebrich, eine Liga tiefer, und und kann ein Lied davon singen. Wenn man davon ausgeht, dass jeder der grob 32 antretenden Spieler (einschließlich Ersatzbank) noch zwei Zuschauer „mitbringt“ (Vater manchmal bis immer, Mutter weniger, Opa manchmal bis immer, Oma zu gut wie nie, Freundin bei dem ein oder anderen immer, aber auch nie…), schrumpft die Zuschauerzahl der einfach „nur“ Interessierten noch deutlicher zusammen.
Selbst in den Regionalligen bei den Mannschaften der unteren Tabellenhälfte liegen die Zuschauerzahlen nur unwesentlich höher. Von den Zuschauerzahlen her ist die Hessenliga also so etwas wie „the middle of nowhere“. Da, wo eher noch von früher gewohnte soziale Strukturen vorzufinden sind, scheint die Welt von den Zuschauerzahlen her noch weitgehend erfreulich. Aber wo „Zukäufe“ auswärtiger Spieler zunehmen, nimmt im gleichen Maß in „the middle of nowhere“ die Identifkation der Zuschauer mit der eigenen Mannschaft ab. Mit steigender Liga nimmt sie wieder zu. Wo die Spieler herkommen, interessiert dann nicht mehr. Das geänderte Freizeitverhalten tut sein übriges.
Bedauerlich, wenn man sich vor Augen führt, dass über der Hessenliga nur noch 4 Ligen liegen, wobei die Regionalliegen eine 5er Gruppe bilden, also 8×18 Mannschaften. Also über der Hessenliga spielen deutschlandweit nur 144 Mannschaften. Wenn man davon ausgeht, dass jede Spiel-Position zweimal besetzt ist, heißt dies für jeden Hessenligaspieler, dass von der Qualität her nur 288 Spieler vor ihm sind, vermutlich sogar deutlich weniger, weil auch in den Ligen über ihm der ein oder andere kaum besser sein wird, nur mehr trainiert, in einem besseren Umfeld spielt. Die 180 Zuschauer bilden also ganz grob die Menge an Spielern deutschlandweit ab, die auf jeder Spielerposition über einem Hessenligaspieler angesiedelt sind. Also eigentlich nur ein „Häufchen“. Wenn man dies bedenkt, erstaunt es sehr wie stiefmütterlich die Hessenliga von allen Seiten behandelt wird, in einem Land, das Anspruch auf „Weltmeisterschaft“ erhebt.
Gute Nacht im doppelten Sinne. Es ist jetzt 23.24 Uhr.
VFB 1905 Marburg: Purbs, Waegelin, Pape, Traut, Prestes Da Silva (70.Appel), Kamara (73.Besel), Dinler, Schmidt,, Arifi, Pfalz, Abeselom (82.Bilgilisoy)
TUS Dietkirchen: Laux, Zimmer (46.Seker), Böcher, Jannik Schmidt (90.Matthias Schmidt), Hautzel, Kratz (82.Stahl.), Leukel, Dankof, Lahl, Bergs, Anushervoni (46.Schmitz)
Schiedsrichter: Alexander Hauser
Zuschauer: 180
Tore: 1:0 Mathias Pape (13.), 2:0 Muhamet Arifi (40.), 1:2 Robin Böcher (61.), 2:2 (64.) und 2:3 (67.) beide Roberto Lahl, 3:3 Guilherme Appel Prestes Da Silva (70.), 4:3 Robin Traut
von Paul Bergs
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